Der Shutdown in Zeiten der Coronapandemie bedeutet für viele Eltern mit
Kindergartenkindern auch eine nie gekannte Überdosis
Paw Patrol und damit die Frage: Warum um alles in der Welt steht mein Kind so
wahnsinnig auf diese schlichte, repetitive und schrille Zeichentrickserie?
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Quelle: Wikipedia |
Nun, wie bei allen Geschichten, die Menschen jeden Alters faszinieren, geht es
v.a. um Identifikation. Aus der psychologischen Forschung wissen wir, dass uns
solche Geschichten faszinieren, die von Figuren handeln, die eine Brücke
zwischen unserem Selbstbild und unserem Idealselbst schlagen. Das Bedeutet,
Figuren, die sowohl dem ähneln, wie wir uns selbst sehen, als auch dem, wie wir
gerne sein würden.
Paw Patrol bietet für Kinder eine Vielzahl
möglicher Identifikationsfiguren an. Alle Hauptcharaktere sind selbst Kinder,
Jungen und Mädchen, sind groß oder klein, dick oder dünn… Sie weisen jede Menge
unterschiedliche Charaktereigenschaften auf, die Kinder sich wünschen, aber
gleichzeitig auch solche, die sie bei sich selbst wahrnehmen und mit denen sie
nicht so glücklich sind: Chase ist der mutige Anführer, aber auch verletzlich
durch seine Katzenhaarallergie. Marshall ist freundlich und hilfsbereit, aber
auch tollpatschig. Rocky ist klug und erfinderisch, hat aber phobische Angst
vor Wasser, usw.
Eine besonders attraktive Identifikationsfigur ist der
zehnjährige Junge Ryder, das Herrchen der Hundetruppe. Zunächst einmal hat er
sechs Hunde, was alleine schon ein Traum vieler Kinder ist. Beziehungen zu
Tieren sind eine beliebte Projektionsfläche für innige, exklusive und
unverbrüchliche Beziehungen, wie wir sie uns als Menschen wünschen. Und Kinder,
die sich in einer von Erwachsenen dominierten, definierten und kontrollierten
Welt manchmal unverstanden fühlen, wenden sich mitunter lieber Tieren zu, die
nicht werten, nicht tadeln, nicht fordern. (Nicht nur Kinder, im Übrigen).
Geschichten von Flipper und Fury, bis zu Free Willy und Ostwind zeugen davon.
Zudem ist Ryder ein autonomes Kind. Er scheint keine Eltern zu haben, die ihm
Vorschriften machen oder seinen Idealismus zurechtstutzen. Was im echten Leben
eine Katastrophe wäre, kann für Kinder, die, gerade im Paw Patrol-Alter, noch
annähernd jeden Schritt unter der Aufsicht und mit der Erlaubnis von
Erwachsenen gehen müssen, eine angenehme Ermächtigungsphantasie sein. Und weil
wir auch im späteren Leben noch das Gefühl von Fremdbestimmtheit und Unfreiheit
kennen und aus unserer Kindheit erinnern, mögen wir seit jeher Geschichten von
Kindern, die autonom und wehrhaft ihren eigenen Weg gehen. Von Huckleberry Finn
und Pipi Langstrumpf bis Harry Potter und Kevin allein zu Haus.
Last
but not least verfügt Ryder über so ziemlich jedes technische Spielzeug, das
ein phantasiebegabtes Kind sich nur vorstellen kann. Auch das ist ein
Kindertraum. Kinder können und dürfen viele Dinge nicht. Sie können nicht Auto
fahren, aber ein cooles ferngesteuertes Auto kann ein veritabler Ersatz sein.
Kinder sind durchweg auf den Schutz Erwachsener angewiesen. Aber eine
Spielzeugwaffe kann ein Gefühl von Stärke und Wehrhaftigkeit erleben lassen,
usw.
Neben der individuellen Identifikation mit einer einzelnen Figur,
bietet Paw Patrol noch eine zusätzliche Identifikationsebene durch die
Team-Up-Struktur. Mit Team-Up werden Geschichten bezeichnet, in denen eine
Gruppe von Individuen mit unterschiedlichen Eigenschaften Differenzen
überwinden und sich zusammentun muss, um Herausforderungen zu bewältigen und
Gefahren zu meistern. Solche Geschichten geben uns die Möglichkeit, die
Vielseitigkeit und auch die Widersprüchlichkeit unserer Persönlichkeit
repräsentiert zu sehen, indem wir uns in der Gesamtheit der Charaktere
wiedererkennen. Jedes Kind kennt Mut und Angst, Stärke und Verletzlichkeit,
Kompetenz und Überforderung – und alles gleichzeitig. Wir sind als echte
Menschen vielschichtiger als es fiktionale Charaktere je sein könnten. Daher
lieben wir Team-Up-Geschichten, vom Trojanischen Krieg und den zwölf Aposteln
über die glorreichen Sieben und den Herrn der Ringe, bis zu den Avengers und My
little Pony.
Das bereits erwähnte kindliche Interesse an Technik erfüllt
noch eine weitere Funktion: Das urmenschliche Bedürfnis nach Weltverstehen.
Gerade Kinder im Paw Patrol-Alter haben viele Fragen: Wie funktioniert der Staubsauger,
wie die Mikrowelle? Warum können Flugzeuge und Vögel fliegen, Menschen aber
nicht? Was passiert mit dem Müll, nachdem er abgeholt wurde? Wie wird Essen zu
Kacka? Wie funktionieren Geschlechtsorgane…? Bei der Paw Patrol werden die
meisten Probleme durch ausführlich erklärte und für Kinder nachvollziehbare
technische Lösungen bewältigt. Das vermittelt Kindern das Gefühl, das die Welt
verstehbar, Probleme lösbar sind. Nicht umsonst repräsentieren die Fellfreunde
Rollen, die auch im echten Leben der Kinder die Welt am Laufen halten: Polizei,
Feuerwehr, Müllabfuhr, Seenotrettung, Bergwacht, usw.
Geschichten, die uns
vermitteln, dass es möglich ist, die Welt zu einem sicheren und guten Ort zu
machen, wenn man Ängste und Differenzen überwindet, seine Stärken und Talente
einsetzt und mit anderen kooperiert, haben eine wichtige beruhigende, Sicherheit,
Zuversicht und Selbstwirksamkeit vermittelnde Funktion. Nicht nur, aber
besonders auch, für Kinder. Da es sich hierbei aber nicht um ein rationales
Wissen, sondern eine emotionale Erfahrung – die man auch Urvertrauen nennen könnte
– handelt, muss diese immer und immer wieder gemacht werden, um wirksam zu
blieben. Was für Erwachsene an Paw Patrol auf Dauer unerträglich monoton und
repetitiv sein mag, vom immergleichen Ablauf der meisten Episoden, bis hin zu
den gebetsmühlenartig wiederholten Slogans, vermittelt Kindern Verlässlichkeit,
Vertrauen und Selbstwirksamkeit. Ebenso wie Kindern vieler früherer
Generationen die immergleichen Märchen, mit den immergleichen Erzählstrukturen
und Formulierungen („Es war einmal…“, „Und wenn sie nicht gestorben sind…“)
immer und immer wieder erzählt werden konnten.
Fazit: Als Erwachsener
darf man Paw Patrol ruhig nervig und doof finden, unterm Strich ist die Serie
aber auch nicht weniger wertvoll, als das was sich Generationen von Kindern
zuvor reingezogen haben. Das heißt: Solange es nicht zu viel wird, ist Paw
Patrol für Kinder nicht schädlich. Im Zweifelsfall: Fernseher aus und Paw
Patrol an der frischen Luft nachspielen!
Viel Spaß!
1 Kommentar:
Das ist witzig: während ich dies lese, liegt meine Tochter im Bett an mich gekuschelt und schaut Paw Patrol. Mein Mann ist geflüchtet... Ich empfand die Serie immer schon als "besser guckbar" als der viele anderere Schrott, der auf Kinder losgelassen wird. Mir gefällt der Ansatz der Rettungshunde, die Teamfähigkeit, Hilfbereitschaft, Freundschaft und Problemlösung. Aus pychologischer Sicht habe ich es noch nicht betrachtet, aber das rundet mein positives Bauchgefühl ab. Vielen Dank für diesen und die vielen anderen Beiträge!
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