Die noch kleine,
aber wachsende Kategorie „Erstklassige deutsche Serien“ ist mit Dogs of Berlin wieder
ein bisschen größer geworden. Das ganze Setting hat bei mir angenehme Erinnerungen
an The Shield aufkommen lassen: Alle böse, alle korrupt, aber doch irgendwie
menschlich und liebenswert.
Im Zentrum steht – wie in fast jeder Copstory – die
Beziehung zweier vermeintlich ungleicher Polizisten: Da ist auf der einen Seite
der idealistische, homosexuelle Deutsch-Türke Erol, auf der anderen Seite der korrupte
und spielsüchtige Weiberheld und Ex-Neonazi Kurt. Wie soll das gut gehen? Es
geht natürlich gut. Auf der Handlungsebene können die beiden Kompromisse
schließen – eine wichtige Fähigkeit in gelingenden Beziehungen. Kurt beginnt
seinen Partner und die Polizeiarbeit an sich zumindest ein bisschen ernster zu
nehmen, dafür lässt sich Erol ein wenig auf Kurts illegale Methoden ein – „Der Zweck
heiligt die Mittel.“
Aber auch psychologisch passen die beiden scheinbar so
verschiedenen Berliner Cops gar nicht so schlecht zusammen. Denn beide sind auf
ihre eigene Weise Individualisten, die eher nach ihren eigenen Bedürfnissen und
Werten leben, als sich Autoritäten und subkulturellen Normen zu unterwerfen.
Erol lebt offen homosexuell und unreligiös, was im Widerspruch zu den Wertvorstellungen
seiner Herkunftsfamilie und vermutlich weiten Teilen seiner Herkunftscommunity
steht. Darüber hinaus ist er Polizist geworden – sogar ein ehrlicher – was in
seinen eigenen Worten „für einen Kanacken aus Kaiserwarte“ einen weiteren
Tabubruch darstellt. Kurt hat der Neonaziideologie seiner Familie den Rücken
gekehrt hat sich – wohl tatsächlich aus Überzeugung – der Polizei angeschlossen,
wobei er sich auch in deren hierarchischer Struktur nur mit Mühe zurechtfindet.
Auch Erol ist bei der Polizei als schwuler Türke immernoch ein Fremder unter
Gleichen. Beide bewegen sich eher zwischen den Welten, als sich vollständig den
Normen eines einzigen Systems unterzuordnen. Sie spüren die Zerrissenheit und
innere Konfliktspannung ihrer vielfältigen Persönlichkeitsanteile und
soziokulturellen Identitäten. Das ist zwar sowohl für Erol und Kurt selbst, als
auch und besonders für ihre sozialen Umfelder, oft höchst anstrengend,
psychologisch gesehen aber ein durchaus reifer Umgang mit der Vielfalt und oft
auch Widersprüchlichkeit, die der menschlichen Persönlichkeit grundsätzlich
eigen ist.
Deutlich erkennbar wird diese relative Reife, wenn man sich das
Gegenteil, also die Reduktion der Komplexität der eigenen Persönlichkeit zugunsten
eines einzelnen, vermeintlich eindeutigen und somit auf der bewussten Ebene
weniger konflikthaften Persönlichkeitsentwurfs vor Augen führt. Hierfür finden
wir in Dogs of Berlin zahlreiche Beispiele. Viele der Protagonisten flüchten
sich vor der anstrengenden Herausforderung einer Auseinandersetzung mit den
Facetten der eigenen Persönlichkeit in die Unterwerfung unter die Normen hierarchischer,
teilweise autoritärer Systeme.
Hierin wiederum sind sich viele der Figuren in
Dogs of Berlin, welche ebenfalls auf den ersten Blick maximal unterschiedlich
wirken, sehr ähnlich. Von den autoritär geführten kriminellen Clans, inklusive
der Neonazi-Kameradschaft, über die streng hierarchische Polizei und den
hinterzimmerdiktatorischen Fußballbund, bis hin zu der Rockergang, die
irgendwie für Freiheit stehen soll, aber auch nur ein autoritär geführtes
kriminelles Unternehmen ist (vgl. Sons of Anarchy) – all diese Institutionen fordern zwar die
vollständige Unterordnung individueller Bedürfnisse und Meinungen, bieten dafür
aber maximale Orientierung durch unhinterfragte Regeln und Normen und eine klar
definierte soziale Rolle, die im jeweiligen Kontext über jeden Zweifel erhaben
ist.
Den grundsätzlichen inneren Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach
Selbstverwirklichung und Individualität vs. dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit
und Geborgenheit muss jeder Mensch sein ganzes Leben lang immer wieder neu für
sich lösen. Menschen, die eine hohe Bereitschaft, bzw. ein großes Bedürfnis
haben, sich autoritären Systemen unterzuordnen, um hierin Sinn und Orientierung
zu finden, sind in der psychologischen Forschung als „autoritäre Charaktere“,
die entsprechende Persönlichkeitseigenschaft als Autoritarismus, bezeichnet
worden. Der Begriff wird v.a. Theodor W. Adorno zugeschrieben, wobei zumindest
am Rande darauf hingewiesen werden soll, dass dieser bereits auf Arbeiten des
großen Psychologen Erich Fromm aufgebaut hat.
Autoritarismus wird nach heutigem
Verständnis durch die drei Komponenten Konventionalismus, Autoritäre
Unterwürfigkeit und Autoritäre Aggression definiert.
Konventionalismus bezeichnet
das zwanghafte Bestehen auf traditionellen Normen und Regeln, auch ohne rationale
Argumente („Das war schon immer so, also kann es so falsch ja nicht sein“ oder
auch „das hätte es früher nicht gegeben“). Konventionalisten mögen Begriffe wie Leitkultur, Vaterland,
Tradition und Familienehre. Der Tarik-Amir-Clan beruft sich ständig auf die
Familienehre und Familientradition, obwohl innerhalb der Familie ziemlich
unehrenhaft miteinander umgegangen wird. Die Neonazis der Kameraden Mahrzahn
fantasieren von einer glorreichen deutschen Vergangenheit, die keiner von ihnen
je erlebt hat und die es nie gab, in der aber dennoch alles besser gewesen sein
soll.
Autoritäre Unterwürfigkeit meint die Bereitschaft, sich autoritären
Strukturen, bevorzugt einzelnen charismatischen und als durchsetzungsstark, klug
und selbstsicher wahrgenommenen Führungspersönlichkeiten, kompromisslos unterzuordnen.
Sie sind der Meinung, dass es „starke Anführer“ braucht, die „auch mal auf den
Tisch hauen“ um „für Ordnung und Sicherheit zu sorgen“. Sowohl im kriminellen
Clan, wie auch in Polizei und Fußballbund, kommt man zunächst nur voran, wenn
man sich den Höhergestellten unterwirft und eigene, abweichende Meinungen
möglichst zurückhält. Dass Führungswechsel in diesen Systemen selten friedlich,
sondern meist durch Intrige und Putsch vollzogen werden können, ist eine
eigentlich absehbare Folge der fehlenden Meinungsvielfalt und -konkurrenz.
Autoritäre
Aggression schließlich stellt das auf die anderen gerichtete Pendant zur
autoritären Unterwürfigkeit dar. Sie fordert denselben blinden Gehorsam und dieselbe
widerspruchslose Unterordnung unter die eigenen Regeln und Normen von allen
anderen ein und richtet sich aggressiv gegen Abweichungen und Andersdenkende, gegen sie „mit aller Härte“ vorgegangen werden soll. Nazis, Gangster
und Rocker unterscheiden sich kaum in der Brutalität mit der sie gegen Andersdenkende
innerhalb und außerhalb der eigenen Reihen vorgehen (obwohl die Eierspeise der
Nazis schon besonders hervorsticht). Aber auch Polizisten und Fußballfunktionäre
greifen unter Umständen zu drastischen Methoden.
Erich Fromm hat den Autoritarismus
als unreife Reaktion auf die Überforderung des Individuums angesichts der
potentiellen Vielfalt und Freiheit in der Welt gesehen. Der gesellschaftliche
Fortschritt bietet eben nicht nur Möglichkeiten, sondern formuliert auch neue
Anforderungen. Der intelligente Kurt schafft es halbwegs, sich in der großen weiten
Welt (Berlins) zurechtzufinden – sein weniger begabter Bruder Ulf und dessen
Intelligenzgenossen fühlen sich sicherer in einer Welt, in der man außer
Deutschsein gar nichts können muss. Der mutige Erol wagt sich aus der Enge
seines traditionell muslimisch geprägten Elternhauses in die berufliche und
sexuelle Selbstbestimmtheit vor – mit allen Hindernissen, Rückschlägen und Verletzungen,
die das mit sich bringt. Viele der Jungs aus Kaiserwarte schrecken davor zurück
und begnügen sich mit dem bisschen Ehre, dass es als genügsames Zahnrad im
Getriebe des Tarik-Amir-Clans zu gewinnen gibt.
Und im Plattenbau in Mahrzahn
sitzt ein Mann, der in dem Glauben das Richtige zu tun, im Militär immer nach
den Regeln gespielt hat und der jetzt fassungslos mitansehen muss, wie die Welt
ihn zurücklässt. Gegen diese neue Welt richtet sich seine autoritäre Aggression
und als dann ein Nationalfußballer mit Migrationshintergrund seinen Hund widerrechtlich
auf den Rasen kacken lässt, ist das Maß voll…
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen